Echte Speisewagen und fantastische Blicke aus dem Fenster
Mit dem Zug auf Urlaubsreise ins Ausland – da lernt man auch Deutschland schon anders kennen. Von Berlin geht die Reise über Werdau in Sachsen zur tschechischen Grenze. Werdau, ein Ort, den sonst wohl nur wenige Menschen freiwillig besuchen. Aufenthalt: eine Stunde. Der riesige Bahnhof, alle Fenster verrammelt, soll demnächst abgerissen werden. Einen Kiosk oder gar eine Bahnhofsgaststätte gibt es schon lange nicht mehr, nur einen ziemlich dreckigen Fahrkartenautomat. An der öden Bahnhofsstraße einen Kilometer hinunter in den Ort – praktisch alle Geschäfte und Gaststätten, die es dort einmal gab, sind geschlossen.
Weiterlesen: Mit dem Zug durch TschechienOstdeutsche Tristesse in Reinform, auf der Straße sind nur einige fremdländisch aussehende Menschen zu sehen. Also weiter über die Grenze ins tschechische Cheb, zu deutsch: Eger. Bis dahin passiert der Bummelzug viele kleine Bahnhöfe, die wie fast überall in Deutschland halbe Ruinen sind, vom Bahnhofspersonal schon vor Jahrzehnten verlassen. Namen wie Hundsgrün, Adorf, Bad Elster. Dann, hinter Bad Brambach, unbemerkt die Grenze zu Tschechien. Und auf einmal ändert sich das Erscheinungsbild der kleinen Bahnhöfe: ohne Ausnahme sind sie tadellos restauriert, und alle haben einen Bahnhofswärter, der mit weißem, gebügeltem Hemd und roter Bahnwärtermütze den einfahrenden Zug begrüßt – und Reisenden gerne, wenn auch nur auf tschechisch, Auskunft gibt. In Cheb dann umsteigen in einen fast leeren, sehr neuen Zug, so sauber, dass auf dem Boden kein Krümel zu sehen ist. Von hier ist es nicht weit bis zum ersten Punkt der Reise, Marienbad. „Marienbad hat kein Zentrum“, ist im Reiseführer zu lesen; der Kurort, in dem schon Goethe weilte, schlängelt sich durch ein liebliches, bewaldetes Tal, unten ein Bach, links und rechts der Kurpark. Ich habe ein kleines Hotel in der Nähe des Bahnhofs reserviert. Die mondänen Kurhotels sind alle in Betrieb, und tatsächlich flanieren Menschen mit der Schnabeltasse von Quelle zu Quelle, um das scheusslich schmeckende Wasser im Gehen zu trinken. Im Sitzen soll es wohl nicht richtig wirken. Goethe lernte ja in Marienbad im Alter von 71 Jahren die 54 Jahre jüngere Ulrike von Levetzow kennen, und auch wenn die Liebesaffaire nicht richtig Fahrt aufnahm, zu der Marienbader Elegie, einem Klagelied, reichte es immerhin.

Wer Prachtbauten der Jugendstil-Epoche mag, ist in Marienbad richtig, sie säumen die Hauptstraße des Ortes und sind allesamt gut in Schuss.
Mit einem altmodischen, fast leeren Zug, der über Abteile wie früher in Deutschland verfügt, geht es dann weiter über Pilsen nach Budweis. Fahrtdauer: 3 Stunden. Der Kaffee, den die Zugbegleiterin im Pappbecher serviert, kostet 60 Cent, zahlbar auch in Euro. Den berühmten Speisewagen, in dem man Bier vom Fass und frisch gebratene Schnitzel auf weißen Tischdecken bekommt, hoffe ich, später genießen zu können. Pilsen und Budweis haben prächtige alte Bahnhöfe, die allerdings in die Jahre gekommen sind und gerade restauriert werden.
In Budweis gibt es in Bahnhofsnähe kein Hotel, also laufe ich über den Marktplatz und checke dort in das erste Haus am Platz ein, das Grand Hotel. Die Nacht mit Frühstück kostet hier 66 Euro im Einzelzimmer, Aussicht allerdings auf den Hinterhof.

Die Besichtigung der Budweis-Brauerei wird im Reiseführer als „nicht besonders prickelnd“ beschrieben, also lasse ich sie aus und genieße das Bier, das übrigens hier nicht anders als in Deutschland schmeckt, in einer Gaststätte zusammen mit Szegediner Gulasch und Klößen. Ansonsten warnt der Reiseführer, dass es in Budweis nicht gerade viel zu sehen gibt, was sich auch als richtig herausstellt. Für 2 Euro kann man das „Museum“ im Festungsturm der Eisernen Jungfrau besichtigen, man hat dort allerdings keinen nennenswerten Ausblick, und das Museum beschränkt sich auf ein paar alte Stoffpuppen. Die „Eiserne Jungfrau“ war eine Foltermethode im Mittelalter. Dabei wurde der Verurteilte in eine Rüstung gezwängt, durch die sich dann Spitzen aus Stahl in den Oberkörper bohrten. Nach Budweis geht es weiter ins ländliche Böhmen, in den Ort Nova Jindrichuv Hradec. Hier fährt eine Schmalspurbahn, gezogen von einer Diesellok und manchmal auch eine Dampflok, in den Ort Nova Bystrice, zu deutsch Neubistritz. Für die 18 Kilometer lange Strecke mit Halt in vielen kleinen Dörfern benötigt der Zug mehr als eineinhalb Stunden. Tschechische Großeltern fahren zusammen mit ihren Enkeln, denen die Zuckelei mit offenem Fenster sichtlich Spaß macht. In Neubistritz habe ich ein Hotel reserviert, dass sich als riesiges altes Parkhotel mit dunkler Holzvertäfelung und ledergepolsterten Türen herausstellt. Ich bin der einzige Gast und klaube meinen Schlüssel aus einem Safe an der Tür. Der verstaubte Kasten wäre die perfekte Kulisse für einen Horrorfilm, ich fühle mich an Bates Motel aus Psycho erinnert.

Ansonsten ist der hübsche Ort mit einem plätschernden Springbrunnen in der Mitte ist idealer Ausgangspunkt für Wanderungen und Radtouren, dennoch sieht man nur wenige Touristen.
Auf der Rückfahrt von Prag nach Dresden kommt der schönste Abschnitt der Fahrt: die Bahnlinie schlängelt sich mit der Elbe durch ein enges Tal, und manchmal hat man den Eindruck, der Zug fährt nicht neben dem Fluss, sondern direkt auf dem Fluss. Burgen, malerische Dörfer und Felsen rauschen vorbei. Und im Speisewagen ist sogar noch ein Platz frei! Für ein Nachmittagsessen mit gratiniertem Blumenkohl mit Safran und einem halben Liter kühlem Bier zahlt man wenig mehr als 10 Euro. Zugfahren in Tschechien macht Laune!
