Eine nachhaltige Reise zur nachhaltigen Stadt Kiel

Kann man das E-Auto auch schon für längere Reisen benutzen? Kein Problem, sagen die Hersteller, das Netz an Schnellladesäulen ist in Deutschland schon sehr dicht. Das stimmt zweifelsfrei, doch die Wochenendreise von Eberswalde in Brandenburg nach Kiel in Schleswig Holstein hat dennoch ihre Tücken. Zum Test steht ein neuer Renault Zoe bereit, der nach Herstellerangaben eine Reichweite von rund 380 Kilometer mit einer Ladung hat. Also fast so weit wie die Strecke von Eberswalde nach Kiel.

Die Aufladung an der normalen Steckdose dauert mehr als 24 Stunden. Deshalb kommt für Aufladungen während der Fahrt nur die Aufladung an Schnelladestationen in Frage, wo der Akku in ein bis zwei Stunden bis auf 80% aufgeladen werden kann. Die Ernüchterung vor der Reise: Der erste Lade-Test in Eberswalde schlägt fehl. Kreditkartendaten und alles andere sind in der Mobility-App gespeichert, doch die App will partout keine Verbindung zur Ladestation herstellen. Auch scannen führt nicht weiter. Der geduldige Kundenservice des lokalen Stromanbieters reagiert ausnehmend kundenfreundlich: er schaltet die Ladestation manuell frei und sagt, dass er die Rechnung per email schicken wird. Ladung läuft!

Auf der Autobahn nach Kiel schnurrt der Zoe nur so über die Fahrbahn, bei Tempo 145 ist der Wagen gedrosselt. Was man allerdings bedenken sollte: bei solch hohen Geschwindigkeiten ist der Akku viel schneller leer, statt 380 Kilometer erreicht man nur etwa die Hälfte. Bei Wittenburg heisst es also: nachladen! Die Ladesäule funktioniert, und die Zeit soll für ein kleines Mittagessen genutzt werden. Leider gibt es am Autohof nur einen Döner-Imbiss und einen McDonalds, beides nicht unbedingt meine erste kulinarische Präferenz. Könnten Restaurantbetreiber sich nicht zusammenschließen und ein Netz von guten Restaurants mit E-Tankstellen vor dem Haus etablieren? Unzählige E-Auto-Besitzer würden es bestimmt danken, wenn man ein gutes Essen und ein bis zwei Stunden Tanken kombinieren könnte. In anderen Ländern ist so etwas schon gang und gebe.

In Kiel dann um halb vier heißt es, eine Ladesäule zu suchen. Auf der Plugsurfing – App werden jede Menge Möglichkeiten angezeigt. Eine soll im Parkhaus am Hafen sein. Doch nachdem alle 6 Etagen des Parkhauses abgefahren sind und nirgendwo ein Hinweisschild auffindbar war, scheint es, dass dies wohl eine Fehlinformation war. Weitersuchen. Säule gefunden, Ladeschlauch angeschlossen, App gestartet: kein Strom fließt. Am Servicetelefon ist zu erfahren, dass wohl ein „technischer Defekt“ vorläge. Die nächste Säule in der Nähe des Hotels funktioniert dann.

Kiel hat ja in diesem Jahr den Deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen. Björn Petersen kennt sich aus in der Hafenstadt und zeigt uns auf einer Radrundfahrt auf etwas schwergängigen Rädern der „Sprottenflotte“ die wichtigen Punkte. Obwohl riesige Fährschiffe und Kreuzfahrtschiffe anlegen, ist das Wasser der Kieler Förde so sauber, dass man problemlos darin baden kann. Was zahlreiche junge Kieler auch tun. Dank moderner Landstromanlagen heißt es in Kiel für Schiffe während der Liegezeit: „Motoren aus!“ Kiel will Müll vermeiden: als erste Stadt Deutschlands schloss Kiel sich dem Netzwerk Zero Waste Europe an. Auch Kieler Firmen sind in diesem Feld aktiv, zum Beispiel die Firma „Goldeimer“, die nachhaltige Komposttoiletten herstellt.

Kiel meint es ernst mit der Nachhaltigkeit: Auf den Kieler Velorouten legen die Kieler pro Jahr rund 530.000 Kilometer mit dem Fahrrad zurück, eine ganze Menge also. Eine Route führt entlang der Kiellinie, immer an der Förde entlang. Jede Menge Buden versorgen hier die flanierenden, meist jungen Menschen mit Getränken und Imbiss. Es wird getrunken und geflirtet, und nach einer langen Zeit der Enthaltsamkeit liegt Lebenslust in der Luft.

Ein wirklich gutes Abendessen mit Blick auf die Förde erhält man im Restaurant Lagom, direkt neben der Rudergesellschaft Germania. Zurück ins Zentrum der Stadt geht es dann über die Krusenkuppel, einen der wunderbaren Parks der Hafenstadt.

Während der Stadtbesichtigung soll das Auto für die Heimfahrt vollgeladen werden. Doch auch hier wieder Probleme mit den Ladesäulen: in der App sind Ladesäulen verzeichnet, die es nicht mehr gibt, und an den existierenden will kein Strom fließen. Der Servicenotruf hilft auch nicht weiter, wohl aber ein netter Lübecker Passant. Er kennt den Trick der Stadt: man muß eine Karte, egal ob EC-Karte oder Ladekarte, einfach in die Nähe der Zapfsäule halten, und der Strom fließt. Und das sogar kostenlos, verrät der hilfreiche Einheimische. Eigentlich wollte Lübeck dieses Geschenk nur zur Einführung dieses Systems machen, aber es wurde bis jetzt nicht modifizert. Der Mann hatte Recht, das E-Tanken (bitte nicht weitersagen) in Lübeck ist tatsächlich kostenlos!

Am nächsten Morgen dann mit vollem Akku nach Lübeck, touristisch wohl bei vielen die erste Wahl. Die Hafenrundfahrt ist gut gebucht und erzählt auch von der Zeit, als in Lübeck noch mehr Industrie am Hafen zu finden war. Man erfährt hier, dass die Lübecker in der Altstadt ihre Wäsche gerne draußen trocknen. Entlang der Stadttrave gibt es dafür eine mehr als 100 Meter lange Leine, eine Ansicht, die ansonsten fast nur aus Südeuropa bekannt ist. In den Altstadthäusern locken die „Gänge“, niedrige Durchgänge, die sich durch die historischen Häuser bohren und Teil des Lübecker Weltkulturerbes sind. Von den rund 180 bewohnten Gängen existieren heute noch rund 90. Von hier ist es nicht weit zum Museumshafen, wo alte Koggen wie die „Rixdorf“, ein Motorschlepper aus dem Jahr 1935, die „Krik Vig“, ein Gaffelschoner aus dem Jahr 1957, oder die „Johanne“, ein Segelschiff von 1905 vertäut sind.

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