Bremerhaven

Muggeliche Kneipen und eine Weltreise in zwei Stunden

Bremerhaven, einst der größte europäische Auswandererhafen, verfolgt ein neues Konzept

„Treffpunkt Kaiserhafen – die letzte Kneipe vor New York“ ist nicht etwa eine Beschreibung für einen Treffpunkt am Hafen von Bremerhaven, es ist der Name einer Kneipe. Die ganz real in einer Baracke mitten auf dem Hafengelände steht, am Bananenpier. Seeleute kommen hier allerdings nur noch vorbei, wenn in der benachbarten Lloyd-Werft große Schiffe umgebaut werden. Die Portionen, zum Beispiel das Fischerfrühstück mit Nordseekrabben, sind dennoch so reichhaltig, dass sie gestandene Matrosen sattmachen würden. Obwohl die Kneipe etwas abgelegen ist, kommen immer öfter Touristen vorbei, die sich von der „muggelichen“ Atmosphäre anstecken lassen. Besonders muggelich ist es samstag abends, wenn Bruni Schlager und Shantys singt. Auch das berühmt-berüchtigte „Hein Mück aus Bremerhaven, der ist allen Mädchen treu…“

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Bis vor kurzem sah es in Bremerhaven noch ziemlich düster aus. Die Hochseefischerei wurde eingestellt, und die letzten 4000 amerikanischen Soldaten, die in Bremerhaven stationiert waren, wurden in den 90er Jahren abgezogen. Die Arbeitslosigkeit stieg rasant. Die Stadtoberen erarbeiteten ein Konzept, um die Hafenstadt aus der Krise zu führen, und man gestaltete die schicken „Havenwelten“ mit dem Hotel Sail City, dem Klimahaus, dem Zoo am Meer und dem kitschigen Einkaufszentrum Mediterraneo. Den besten Überblick hat man von der Aussichtsplattform im 20. Stock des Hotel Sail City, das mit seiner Segelform ein wenig an den berühmten Burj al Arab in Dubai erinnert. Es ist zwar wesentlich kleiner, dafür kann es aber eigene Bienenvölker vorweisen, die ihre Stöcke auf dem Dach anfliegen.

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Nebenan ist gleich das Klimahaus, mit rund 465.000 Besuchern allein im letzten Jahr wohl der Umsatzbringer des neuen Bremerhaven (Eintrittspreis 15 Euro). Besonders Schulklassen nutzen die Ausstellung gerne, um Kindern das Weltklima und dessen Veränderungen praktisch näherzubringen. Dafür haben sich die Macher einiges einfallen lassen: man wandert entlang des 8. Längengrades durch eine Schweizer Alpenlandschaft und kann dort Kühe melken, um kurz darauf in die Gluthitze von über 30 Grad der Sahelzone einzutreten. In Kamerun kann man den westafrikanischen Regenwald bei Nacht durchstreifen, um sich kurz darauf am Packeis der Antarktis bei minus 6 Grad abzukühlen. Am warmen Strand der Südseeinsel Samoa gibt es große Aquarien, tropische Fische schwimmen um ein Saumriff.
Den Abschluss bildet ein Besuch im Wetterstudio, wo man sich als Wettermoderator vor laufender Kamera beweisen kann. Draußen vor der Tür gibt es dann kostenlose Wetterphänomene zum Fühlen – denn das Nordseeklima kurz vor der Küste ist für seine rasanten Wetterumschwünge bekannt. Am Neuen Hafen starten die Hafenrundfahrten, die zum Containerhafen führen. Er hat die Größe von 360 Fußballplätzen, und die Frachter, die hier anlegen, haben ähnliche Dimensionen.

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Es ist atemberaubend zu sehen, wie hoch die Container auf diesen Giganten der Meere gestapelt sind. Auf die MSC Oscar, die regelmässig in Bremerhaven entlädt, passen genau 19.224 Einheiten! Die Manpower, die an Land beschäftigt ist, fällt dagegen gering aus: die Bremer Reedereien beschäftigen rund 700 Menschen an Land und rund 5000 Mitarbeiter an Bord.
Auf dem Weg zum Containerhafen passiert man den Simon-Losch-Leuchtturm, ein Wunderwerk historischer Leuchtturmarchitektur, erbaut aus Backsteinen, mit vielen Vorsprüngen, Zinnen und Türmchen.

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Daneben steht ein historischer, schwarzer Semaphor, der aus Zeiten stammt, als Seeleute Wetter und Wellengang noch nicht digital erfassten. Ein großes B und ein großes H zeigen darauf die Windstärke und Windrichtung von Borkum und Helgoland an.
Ein preisgekröntes Museum ist das Deutsche Auswandererhaus, ebenfalls am Neuen Hafen gelegen. Es zeigt ein fast vergessenes Kapitel deutscher Geschichte. Das Konzept ist hochmodern: nicht Vitrinen mit Objekten anschauen heißt hier die Losung, sondern mit der Identität einer tatsächlich ausgewanderten Person durch die Hallen wandeln. Dazu gehört auch das Abschiednehmen in Bremerhaven und das Bestehen der Einwanderungsformalitäten in Ellis Island, New York. In den Archiven des Hauses kann man außerdem nach realen, ausgewanderten Familienmitgliedern suchen!
Der schroffe Charme Bremerhavens wird deutlich auf der Fähre nach Blexen, einem Fischerdorf in Niedersachsen. Rund 10 Minuten dauert die Fahrt, die meist von Pendlern mit dem Auto genutzt wird. Dazu gibt es an Bord einen Filterkaffee und die aktuelle Bild-Zeitung. In Blexen kann man auf dem Deich spazierengehen und den Kähnen auf ihrem Weg zum großen Meer nachschauen.
Zum Aufwärmen dann zurück in die Altstadt: „Alt Bremerhaven“ heißt die älteste Kneipe der Stadt aus dem Jahr 1839. Das gute Karlsburg-Bier aus Bremerhaven gibt es leider nicht mehr, auch das Wappen Export Bremerhaven ist Geschichte. „Doch findig wie die Bremerhavener sind, wird es bestimmt nicht mehr lange dauern, bis eine neue Craft-Beer Brauerei entsteht und Bremerhaven wieder ein eigenes Bier hat“, ist sich John Will sicher, der für Bremerhavener Unternehmen Kommunikationsstrategien entwirft.
Ach ja, Fisch sollte man auch noch essen in Bremerhaven, auch wenn er hier nicht mehr angelandet wird. Am schönsten ist es am „Schaufenster Fischereihafen“, wo ein Fischlokal neben dem anderen liegt. Früher entluden hier bis zu 15 Fangschiffe gleichzeitig ihre Ware, und in den 20er Jahren starteten vom Fischversandbahnhof täglich vier Fischzüge mit je 40 Waggons, um ganz Deutschland mit Fisch zu versorgen. Am Kai ist hier die FMS Gera zu besichtigen, der letzte deutsche Seitenfänger, bei dem das Netz über die Seite eingeholt wird. Nach der Auflösung der DDR konnte Bremerhaven dieses Schiff vom Rostocker Fischkombinat vor der Verschrottung retten.

Buchtipp:
Bremerhaven
Lutz Liffers
Edition Temmen, 5,9 Euro

 

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